GLASGARTEN ;; . U N D | D I E | S T E R N E | W A C H E N | Ü B E R | M I C H .
In Zeiten, in denen die Rudel groß und zahlreich waren wurde der Ruf, der jedem einzelnen Wolf angeboren war, nicht mehr gebraucht. Stets war ein jeder Wolf in Gesellschaft, die Reviere rückten dicht zusammen in dem fruchtbaren Land, das unberührt vom Menschen und von Unheil war.
Die Freundschaft und die Liebe gewannen an Wert und die Beziehungen innerhalb eines Rudels, sowie auch die der Rudel untereinander wurden gepflegt und hoch geschätzt. Die nachfolgenden Generationen wuchsen behütet von einer großen und fürsorglichen Gemeinschaft auf, kannten das Gefühl von Sorge und Angst nicht mehr. Es war eine glückliche Zeit voll von Überfluss an Nahrung und guter Gesellschaft für die Wölfe in dem fruchtbaren Land.
Mit der Zeit vergaßen die Wölfe, dass sie ihre Stimmen nicht nur zum Sprechen gebrauchen konnten. Ihre Bande waren stark, sie glaubten, das uralte Lied brauchten sie nicht mehr und so geriet es in Vergessenheit. Des nachts erhoben die Wölfe ihre Stimmen immer seltener, um gemeinsam zu singen und die Bande untereinander zu stärken. Bald verstummte das letzte Heulen, und die Stille Zeit brach an.
Es geschah, woran keiner von ihnen je einen Gedanken verschwendet hätte; die Rudel wurden kleiner, die Freundschaften zerbrachen, der Zusammenhalt verlor sich in der Stille. Ohne es bemerkt zu haben hatten die Wölfe einen Teil ihres ursprünglichen Wesens aufgegeben, der eine Wunde in ihren Seelen und Herzen zurückließ. Die Gemüter wurden mürbe, es breitete sich Trostlosigkeit aus wie eine Krankheit, die die einst so glücklichen Wölfe verkümmern ließ. Viele verließen das fruchtbare Land; die Welpen im Frühjahr blieben aus, denn die Liebe verlor ihren Wert. In der Stillen Zeit verschwanden nach und nach die vielen Rudel, denn das fruchtbare Land begann ebenfalls, sich zu wandeln. Die Kraft, die die Erde hier einst ausgestrahlt hatte und so viel Leben ermöglichte, verblasste und ließ das Wild aus dem Land weiterziehen, auf der Suche nach blühenderen Gefilden. Die Jahreszeiten begannen, gleichförmig ineinander überzugehen, unberührt von der ehemaligen Farbenpracht des Frühlings und des Herbstes.
Der letzte Wolf war lange verstummt, als eine sternenreiche Nacht anbrach. Ein geheimnisvoller Hauch strich durch die Gräser, als ein altes Wolfspaar durch eine weite Ebene wanderte. Sternschnuppen verglühten zu abertausenden am Himmel, als der Mond den höchsten Punkt seiner allnächtlichen Reise erreichte. Und es geschah, das zwei Sternschnuppen auf die Erde regneten und das fruchtbare Land mit Licht erfüllten. Das alte Wolfspaar war neugierig und machte sich auf den Weg zu der Stelle des Niedergangs der gefallenen Sterne. Was sie dort vorfanden, blieb auf ewig ihr Geheimnis. Nicht einmal die beiden Welpen, die dort dicht aneinander gedrängt im hohen Riedgras kauerten, umgeben von einem hellen Schein der nun rasch verblasste, würden es erfahren. Noch nicht, sie waren zu jung. Das Wolfspaar nahm sich ihrer an und begleitete sie noch durch vier Jahreszeiten hinweg, bevor ihre Zeit gekommen war und sie sich zur Ruhe legten, um in den letzten langen Schlaf zu sinken. Die Jungwölfe waren mittlerweile zu den besten Freunden geworden. Gemeinsam besangen sie jede Nacht ihr Leben im ehemals fruchtbaren Land, erhofften sich die Rückkehr der Farben und des Lebens und verbanden so ihre Herzen in inniger Freundschaft miteinander.
Der erste Nachwuchs, der seit langem im einst fruchtbaren Land das Licht der Welt erblickt hatte, bekam einen der wichtigsten Schätze mit auf seinen Weg, den es für die Wölfe gab. In ihnen war das ursprüngliche Wesen der Wölfe stark, denn sie waren früh allein. Sie wussten um das uralte Lied, um die Melodie, die sie auch in finsterster Nacht zueinander führen konnte. Die Rufe in der Nacht würden die Wölfe zurück in das einst fruchtbare Land führen, und die Freundschaft unter ihnen würde sie lehren, das uralte Lied wieder gemeinsam zu singen. Die Stille Zeit fand ihr Ende.